Knollerich
. Die Nacht war schon hereingebrochen. Hubert Lindner griff zum Telefon. Der Ruf ging ab, aber der Große Knollen meldete sich nicht. Hubert Lindner verbrachte eine unruhige Nacht. Am nächsten Morgen gewann er den Sieberaner Forstmann Heibig für eine "Expedition" zum Berg. Die beiden Männer fuhren mit einem Fahrzeug, soweit die Forststraße durch das Tiefenbeekstal geräumt war. Den letzten Gipfelanstieg nahmen sie durch hohen Schnee zu Fuß. Sie fanden die Worte des Kurgastes bestätigt. Durch ein offen stehendes Oberlicht und durch Aufwirbeln eines Gastraum-Fensters gelangten die beiden Männer ins Hausinnere. Sie sahen: alle Schlüssel steckten von innen. Der Zugang zu den Wohnräumen war ihnen verwehrt. Hubert Lindner spürte förmlich: Sein Freund weilte nicht mehr unter den Lebenden! Die beiden Forstmänner zogen die Polizei hinzu. Der Beamte aus St. Andreasberg öffnete die noch verschlossenen Türen. Dann standen die Männer vor Fritz Goericke. Er lag still und friedlich in seinem Bett! Er war tot! Nichts deutete auf einen Todeskampf hin. Nur das etwas herangezogene Telefon ließ erkennen, dass der Knollerich offensichtlich noch versucht hatte, Verbindung zur Außenwelt aufzunehmen. Als sich die Erstarrung von den Männern gelöst hatte, handelten sie. Aus Herzberg holten sie einen Arzt und ein Bestattungsunternehmen herauf. Von Sieber aus setzten sich die Männer der Feuerwehr mit ihrem geländegängigen Jeep in Bewegung. Auf einer Bahre trugen die Feuerwehrmänner Fritz Goericke von steinern Berg herunter — jenen steilen Weg, den der alte Mann so oft in den vergangenen 18 Jahren gegangen war. Auf dem Großen Knollen im Südharz gibt es keinen ."Knollerich" mehr. Ein Herzschlag hatte dem Leben dieses eigenartigen, eigenwilligen und doch so liebenswerten Baudenwirtes kurz vor seinem 77. Geburtstag, den er am 14. Februar hätte feiern können, ein Ende gesetzt. Viele Harzwanderer und Harzgäste werden Fritz Goericke lange und gern in ihrer Erinnerung behalten. Der Knollerich — ein gebürtiger Magdeburger — war Flugzeugführer und Kapitän, war Industrie-Beschäftigter und Bergbaudenwirt. In erster Linie aber war er Mensch. Wie lautet doch einer seiner sinnigen Sprüche, die an den .Wänden der gemütlichen Baudenräume hängen? „Es gibt viele Leute aber nur wenig Menschen". Er war einer von de letzteren! Schlafe wohl, lieber Knollerich! Seiner Ehefrau gilt unsere Anteilnahme. Er hatte sie im Herbst, ehe der Winter hereinbrach, vom Berg herunter nach Berlin geschickt, damit sich ihre angegriffene Gesundheit bessern sollte. Ein Wiedersehen war ihm nicht gegönnt. Harzkurier, Februar 1967 |